Spaßiger, einfacher Bachelor mit Luft nach oben

Ich habe 2017 mit meinem Bachelor in Psychologie angefangen, in ein paar Wochen beginnt mein letztes Semester. Hier kommt mein Fazit:

Die Stadt/ Das Studentenleben:
Okay, zugegeben, Gießen springt einem jetzt nicht gerade ins Auge, wenn man sich Unis aussucht. Ich bin im Grunde auch nur hier gelandet, weil es meine einzige Zusage war. Aber: Man sollte sich nicht schocken lassen, wenn man erzählt kriegt, wie hässlich und langweilig Gießen ist. Wenn man hier etwas Zeit verbracht hat, stimmt beides nicht. Die Stadt hat zwar im Krieg ein bisschen gelitten, hässlich ist sie aber nicht, die Uni ist in der ganzen Stadt verteilt und man kann sich überall gut aufhalten. Egal wo man wohnt, man hat es nirgendwohin weit.
Das Studentenleben ist manchmal ganz einfach zu finden, z.B. gibt es viele Kleidertauschparties, man kann kostenlos ins Freibad, einmal im Jahr gibts einen supercoolen stadtweiten WG-Flohmarkt und einmal im Semester "Gießen kocht" (das empfehle ich sehr!!). An anderen Stellen muss man ein bisschen kreativ werden, das Nachtleben gibt z.B. nicht so viel her. Es gibt 3 vernünftige aber kleine Clubs und ein paar Kneipen an der Ludwigsstraße, es macht aber eindeutig mehr Spaß, selbst was mit Freunden auf die Beine zu stellen.
Gießen liegt mitten in Hessen, in der Stadt und drum herum gibt es alles was man braucht. Es gibt viele Badeseen, auf der Lahn kann man Paddeln, man ist in 15 Minuten in Marburg und Wetzlar, beides superschön.

Die Uni:
Es gibt mehrere Campusse: Philosophikum I und II liegen nah beieinander, das ist der Hauptcampus mit dem Asta-Gebäude, dem Studentenwerk, Haupt-Bib und Haupt-Mensa. In der Stadt verteilt liegen dann noch NaWi- und JuWi-, Med- und VetMed-Campus und noch ein paar kleine Gebäude.
Psychologie (und Geistes-& Sozialwissenschaften, Lehramt etc.) findet am Phil I statt. Das ist ein typischer 60er-Jahre-Komplex, der in den nächsten Jahren renoviert werden soll. Das ist auch nötig, es gibt kaum Steckdosen oder Aufenthaltsräume. Rund um den Campus wird schon ordentlich gebaut, im Moment versperren einem fast überall Baustellen den Weg, aber das kann ja nicht ewig dauern.
Auf dem Campus hat man kurze Wege, das ist ganz angenehm, das Essen in der Mensa ist lecker und günstig.

Die Lehre:
Ich würde sagen, Gießen hat einen "Standard- Psychologie"- Studiengang, ohne bestimmte Schwerpunkte. Es gibt einen klar gegliederten Aufbau: Bis zum 3. Studienjahr gibt es ausschließlich Pflichtfächer. Man kann sich aussuchen, wann man ein Modul belegt, früher oder später braucht man aber jedes einzelne. Im 5. Semester darf man Wahlpflichtmodule wählen. Die Module sind typische Grundlagenfächer der Psychologie: Bio, Klinische Psychologie, Diagnostik, Pädagogische Psychologie, Sozialpsychologie, Entwicklungspsychologie etc.
Am liebsten mochte ich Sozialpsychologie bei Herrn Häuser, superspannend, das war wie im Kino zu sitzen, eine richtige Show! :D
Statistik wird in Gießen so "qualfrei" wie möglich gehandhabt: Es muss eben sein, aber man merkt dem Dozent an, dass er weiß, dass die meisten Studierenden einfach nur an einem Stück die Klausur bestehen wollen. Er bemüht sich, möglichst nette Klausuren zu konzipieren.
Was ich als klaren Nachteil an meinem Studiengang sehe ist, dass man praktisch nicht in Eigenverantwortung bzw. mit eigenen Ideen arbeitet. Es wird Stoff gelernt und wiedergegeben, man produziert keine neuen Ideen. In den Seminaren werden Referate über gegebene Grundlagentexte geschrieben, fertig. Es ist ein "Bachelor of Science" - das erste Mal Science macht man allerdings erst in der Bachelorarbeit. Davor werden keine Hausarbeiten geschrieben, keine Experimente konzipiert, nichts. Einzige Ausnahme: Im Diagnostikseminar durften wir einen Intelligenztest selbst entwickeln, der wurde allerdings nicht bewertet.
Das finde ich ziemlich uninspirierend.
Andererseits macht es den Studiengang Psychologie in Gießen auch zu einem ziemlichen Spaziergang. Man muss sich keine Sorgen machen, hier nicht durchzukommen. Für Klausuren muss man natürlich lernen, aber das ist keine Hexerei.

Ausland/Erasmus:
Ich habe ein Erasmussemester gemacht. Es geht, auch ohne ein Semester anzuhängen, wenn einem das wichtig ist.
Aber: Es wird einem nicht im geringsten geholfen. Zwar gibt es eine Erasmus-Koordinatorin, die ist allerdings gleichzeitig Koordinatorin für den gesamten Bachelorstudiengang und hat wenig Zeit für irgendwelche Planungsdetails. Ich hatte das Gefühl, dass die Uni mit ihren Partnerunis nicht wirklich im Kontakt ist. Was die anderen Unis anbieten, wie das mit dem eigenen Curriculum zusammenpasst, wer die Ansprechpartner sind usw. musst du alles selbst herausfinden. In der Uni wird alles unterschrieben, obs nun richtig oder falsch recherchiert ist liegt in deiner Verantwortung.
Ich hätte in der Planungsphase fast hingeschmissen, bin dann aber doch gegangen und es hat mir riesigen Spaß gemacht. Erasmus kann ich sehr empfehlen - die Organisationshilfe der JLU liegt allerdings praktisch bei 0.


Ich hatte eine tolle Zeit in Gießen und habe hier viel erlebt und gerne hier studiert. Für den Master werde ich allerdings eine andere Uni ausprobieren.
Ich hoffe, die Bewertung hat geholfen!