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Schlechte Rahmenbedingungen, Burnout-Gefährdung

Medizin (Staatsexamen)

  • Studieninhalte
    2.0
  • Dozenten
    2.0
  • Lehrveranstaltungen
    1.0
  • Ausstattung
    3.0
  • Organisation
    1.0
  • Literaturzugang
    2.0
  • Digitales Studieren
    1.0
  • Gesamtbewertung
    1.7
Hiermit möchte ich meine Erfahrungen im o.g. Studiengang am Standort Bochum schildern. Nach meinem Abitur habe ich mich aus sehr praktischen Gründen für Bochum entschieden (Nähe zu Familie und Freunden, Weiterführung des langjährigen Nebenjobs, bezahlbare Mieten). Im Nachhinein bereue ich diese Entscheidung in vielerlei Hinsicht sehr und möchte nun auf diesem Weg einige Informationen teilen, die ich selbst gerne bei meiner Bewerbung berücksichtigt hätte und die potenziellen Studienbewerber*innen weiterhelfen könnten.

Zuallererst sollte man sich darüber bewusst sein, dass es sich m.E. bei dem angebotenen Studiengang nicht um einen ,,richtigen" Modellstudiengang handelt. Es besteht nach wie vor die klassische Trennung zwischen Vorklinik und Klinik. Die Lehrinhalte werden analog zum Regelstudiengang nach Fächern sortiert und nicht etwa zusammenhängend nach Organsystemen gelehrt. Das Konzept ,,Modellstudiengang" wird in Bochum meiner Meinung nach schlecht und eher zum Nachteil der Studierenden umgesetzt. Die wenigen Kurse, die dem Label ,,Modellstudiengang" Rechnung tragen (z.B. Kurse wie ,,POL", d.h. problemorientiertes Lernen in Kleingruppen anhand von klinischen Fallbeispielen), halten sich in Bezug auf ihren Lerneffekt sehr in Grenzen, wenn man diesen im Verhältnis zur zusätzlich aufzuwendenden Zeit und Energie betrachtet.

Sehr enttäuscht bin ich darüber hinaus von den didaktischen Fähigkeiten eines Großteils der vorklinischen Dozenten. Vorlesungsinhalte werden demotivierend und wenig inspirierend vermittelt und das Klima gegenüber Studierenden ist häufig von Geringschätzung und mangelnder Unterstützung sowie Empathie geprägt (Ermutigende Bemerkungen an Erstis wie: ,,Schauen Sie sich Ihre Kommilitonen gut an, in zwei Jahren wird jeder Dritte davon verschwunden sein!" oder auf Fragen von Mitstudierenden an Dozenten zu geeigneten Lernstrategien: ,,...das lernen Sie, indem Sie ein Buch nach dem anderen durcharbeiten. Wenn Sie sechs Stunden am Tag gelernt haben, hat der Tag noch viele weitere Stunden!").

Ein weiterer Negativpunk ist die sehr schlechte Organisation der medizinischen Fakultät, durch die Studierende massive Nachteile zu erleiden haben. Mit Beginn der Corona-Pandemie wurde dies leider ganz besonders deutlich. Im zweiten vorklinischen Semester startet in Bochum normalerweise der Präparierkurs. Dieser wurde im Sommersemester 2020 aus bautechnischen Gründen (defektes Belüftungssystem in Lehrräumen) in Kombination mit der Pandemie jedoch ersatzlos gestrichen. Darüber hinaus wurden diverse zu erbringende Prüfungsleistungen aus mangelnder Organisations- und Planungsfähigkeit des Instituts ins nachfolgende Semester verschleppt. So wurde z.B. das regulär in mündlicher Form stattfindende Eingangstestat in Anatomie (,,Knochentestat" über alle Knochen, Bänder und Gelenke) kurz vor geplantem Prüfungstermin verschoben und dann unter veränderten Prüfungsmodalitäten als schriftliche Online-Prüfung verlangt. Im laufenden Semester fanden letztlich mehrere, zuvor immer wieder aufs Neue verschobene Prüfungen des Vorsemesters statt und man musste eben zusehen, dass man das parallel zum gestarteten neuen Semester irgendwie schafft. Durch die mangelnde Transparenz der Fakultät bezüglich zu erwartender Prüfungsmodalitäten erhöhten sich Stress und Hilflosigkeit auf Seiten der Studierenden immens. Im neuen Semester wurde von den Studierenden dann erwartet, dass der gesamte Vorlesungsstoff selbstständig und letztlich ohne reguläre Vorlesungen erarbeitet wird. Als Lehrmaterialien haben wir dafür von der Fakultät lediglich - größtenteils unkommentierte - Folien zur Verfügung gestellt bekommen. Laborpraktika und Seminare in den Fächern Biochemie und Physiologie, die pandemiebedingt gestrichen werden mussten, wurden durch umfangreiche schriftliche Hausarbeiten ersetzt, die so viel Zeit in Anspruch genommen haben, dass es nebenbei kaum mehr möglich war, die Vorlesungsinhalte angemessen zu bewältigen. Im darauffolgenden Semester stand das Fach Histologie an, für das man normalerweise sehr viel mikroskopiert. Pandemiebedingt mussten alle Lehrveranstaltungen online stattfinden und die Studierenden wurden auf die virtuellen Mikroskope der Fakultät vertröstet. Bedauerlicherweise stellte sich kurz vor dem Abschlusstestat heraus, dass die Lizenz der Uni für besagtes Mikroskop noch vor der Prüfung ablaufen wird. Dementsprechend wurden wir dazu aufgefordert, innerhalb der noch verbleibenden (kurzen) Zeit vor Ablauf der Lizenz, hunderte Screenshots anzufertigen! Vergleicht man dieses katastrophale und studentenunfreundliche Vorgehen mit der Organisation anderer medizinischer Fakultäten in Deutschland, ist es meiner Meinung nach kein Wunder, dass die RUB seit Jahren das absolute Schlusslicht bei den Physikumsergebnissen darstellt.

Man muss sich darüber im Klaren sein, dass man mindestens zwei Jahre lang wenig bis gar keine Zeit zum Durchatmen hat und die ,,Semesterferien" meist für monatelange, unbezahlte Praktika in Vollzeit reserviert sind, neben denen zusätzlich für Klausuren, Testate oder das Physikum gelernt werden muss. Dies ist sehr sehr anstrengend und führt leider oft dazu, dass man dauerhaft ein massiv hohes (und in einigen Fällen vielleicht sogar krankmachendes) Stresslevel hat. Ich habe Kommilitonen erlebt, die Essstörungen oder andere psychische Erkrankungen entwickelt haben. Haarausfall, massive Gewichtszu- oder abnahmen, Hautausschläge sowie regelmäßige ,,mental breakdowns" sind häufig an der Tagesordnung.

Ich habe mich vor dem Studium umfassend mit Lerntechniken beschäftigt und bin diesbezüglich sehr vorbereitet ins Medizinstudium gestartet. Das unrealistische, absolut überfordernde und didaktisch sehr schlechte Lehrkonzept in Bochum erlaubt es einem auch trotz konsequenter Anwendung von effektiven, evidenz-basierten Lernstrategien wie ,,Spaced Repetition" und ,,Active Recall" nicht, gesund durchs Studium zu kommen.

Es ist allgemein bekannt, dass man in anspruchsvollen Studiengängen wie Medizin mit einem sehr hohen Arbeitspensum rechnen muss und einem generell viel abverlangt wird. Hier sind die Rahmenbedingungen jedoch so mangelhaft, dass sich die Stressfaktoren potenzieren und leistungsstarke junge Menschen nach kurzer Zeit verzweifeln können.
  • Berufsmöglichkeiten, Berufsaussichten
  • Schlechte Organisation, mangelhafte Rahmenbedingungen, schlechtes Klima

Aktuelle Bewertungen zum Studiengang

3.4
Alina , 11.04.2024 - Medizin (Staatsexamen)
3.7
Paul , 10.04.2024 - Medizin (Staatsexamen)
3.0
Tara , 03.04.2024 - Medizin (Staatsexamen)
3.0
Robin , 03.04.2024 - Medizin (Staatsexamen)
3.4
Tobi , 01.04.2024 - Medizin (Staatsexamen)
4.0
Emma , 31.03.2024 - Medizin (Staatsexamen)
2.9
Hagen , 26.03.2024 - Medizin (Staatsexamen)
3.4
Winni , 26.03.2024 - Medizin (Staatsexamen)
2.4
Anne , 21.03.2024 - Medizin (Staatsexamen)
4.3
Leon , 12.03.2024 - Medizin (Staatsexamen)

Über Anne

  • Alter: 21-23
  • Geschlecht: Weiblich
  • Abschluss: Ich studiere noch
  • Studienbeginn: 2019
  • Studienform: Vollzeitstudium
  • Standort: Standort Bochum
  • Schulabschluss: Abitur
  • Abischnitt: 1,0
  • Weiterempfehlung: Nein
  • Geschrieben am: 20.04.2021
  • Veröffentlicht am: 22.04.2021