Fürs Grundstudium ideal, danach kompliziert

Ich habe meine ersten 7 Semester in Gö studiert, bevor ich nach Marburg gewechselt bin. Nun steh ich kurz vorm Examen und kann (vor allem durch den Vergleich mit Marburg) ein Fazit zum Göttinger Grundstudium und dem Theologiestudium in Göttingen generell ziehen. Wer nur wenig Lust auf viele Eindrücke hat, dem sei vorab gesagt: Das Grundstudium ist absolut empfehlenswert, insbesondere beim Examen stellen sich aber viele Hürden (weswegen ich mein Examen in Marburg schreibe).
Positiv hervorzuheben sind auf jeden Fall die Sprachkurse in Hebräisch und Griechisch- besonders letzterer sorgt für Begeisterung für die Sprache. Die Dozentin hat alternative Methoden (z.B. Anti-Angsttänze), aber die fruchten (fast 100 % Bestehensquote). Ebenfalls sehr kompetent ist die Studienberatung an der Fakultät: Der zuständige Dozent hilft in jeder noch so vertrackten Situation! Insgesamt ist der Kontakt zu den Profs und damit die Atmosphäre am Fachbereich aus meiner Erfahrung sehr familiär und kollegial gewesen. Das Theologicum eignet sich (normalerweise) gut zum Aufenthalt zwischen den Veranstaltungen, weil man doch immer jemandem auf einen Plausch begegnet.
Fachlich exzellent aufgestellt sind meiner Meinung nach die Lehrstühle "Altes Testament" und "Kirchengeschichte". Sowohl rhetorisch als auch inhaltlich haben mich die zuständigen Profs für viele Themen begeistert. Weitaus weniger gut habe ich die Veranstaltungen in "Praktischer Theologie" in Erinnerungen, die sehr theoretisch und überhaupt nicht praktisch orientiert waren. Auch die "Ökumene"-Veranstaltungen hatten wenig Mehrwert für mich und meinen späteren Beruf als Pfarrer (dort findet aber bald ein Professurwechsel statt). Da das Semesterangebot an Veranstaltungen aber sehr umfang- und abwechslungsreich ist, ist die Chance, für sich selbst interessante Vorlesungen und Seminare zu finden, sehr groß.
Mein Eindruck von der Theologischen Bibliothek ist gespalten: Einerseits ist sie gut strukturiert und umfangreich - andererseits hat sie (wohl auch immer noch) keine Klimaanlage, sodass Lernen gerade im Sommer zu einem richtigen Höllenritt wird. Und leider hat sie einen Präsenzbestand, d.h. man kann die Bücher nur bedingt und kurz ausleihen- wenn überhaupt. Es gibt aber natürlich auch viele andere Möglichkeiten, um zu lernen und Bücher auszuleihen.
Da die Fakultät direkt am Zentralcampus liegt, hat sie eine ideale Lage, nah an Innenstadt, Mensa, Unibibliothek, sodass man (im Normalfall) sofort im Uni-Leben und -Erleben drin ist. Zwischenfazit: Mein Grundstudium in Gö zu absolvieren, hat sich - trotz einiger "Missstände" - echt gelohnt.
Das Examen kann ich jedoch nicht empfehlen. Das sind die Gründe:
- Alle Prüfungen stehen ganz am Ende auf einen Haufen an. Das heißt, man lernt erst 1 bis 1 1/2 Jahre, um dann alles auf einen Schlag zu haben. Das zerrt ganz schon an den Kraftreserven.
- Dass ich schon Menschen im 6. oder 7. Semester begegnet war, die Angst vor dem Examen hatten, zeigt, dass von Seiten der Fakultät viel zu spät über den Ablauf der Examensphase informiert wird, um Hysterie abzubauen.
- Zumindest das Kirchliche Examen hat eine enorme Durchfallquote in den ersten Versuchen.
- Im Gegensatz zu manch anderer Uni ist das Verhältnis zwischen der Göttinger Theologie und der Hannoverschen Landeskirche sehr zerrüttet. Kommunikation untereinander und gemeinsame Koordination des Studiengangs finden kaum statt. Somit steht man spätestens vor dem Examen zwischen den Stühlen.

Fazit: Ich kann sehr ans Herz legen, das Grundstudium in Göttingen zu absolvieren und fürs Hauptstudium in eine andere Stadt zu ziehen (das Kirchliche Examen für Hannover ist dann natürlich auch noch möglich). Ein wichtiger Hinweis noch: Wer nach einigen Semestern woanders wieder nach Göttingen zurückkehren möchte, sollte sich vorab informieren, welche Module übertragbar sind und welche nicht. Jede Uni hat da ihre eigenen Regeln.