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Universitäres Studium - so wie es sein sollte

Human Computer Interaction (M.Sc.)

  • Studieninhalte
    4.0
  • Dozenten
    5.0
  • Lehrveranstaltungen
    4.0
  • Ausstattung
    5.0
  • Organisation
    3.0
  • Gesamtbewertung
    4.2
Dieser Beitrag stellt in erster Linie eine Reaktion auf die Bewertung von “Mich” dar, die aus meiner Sicht als HCI-Studierender in Siegen große Lücken aufweist und stellenweise falsch ist. Ich vermische daher hier mein Eingehen auf die Punkte von “Mich” mit meinen eigenen Eindrücken der Siegener HCI.

Inhalt
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“Mich” schreibt, die Inhalte seien mangelhaft. Stellenweise ist das sicher nicht falsch, aber der springende Punkt ist: Als Argument wird angeführt, dass Methoden wie Card Sorting und Co. zu wenig trainiert werden. Das halte ich für absurd, denn wir sprechen hier über ein Master-Studium. Wer eine Methodenschulung zum reinen Usability-Tester haben möchte, der möge sich einen Schnellkurs beim Fraunhofer verpassen lassen. Ich bin von meinem eigenen Feld, der HCI und ihrer Wichtigkeit sehr überzeugt, aber die üblichen Methoden sind wirklich keine Raketenwissenschaft und in ihrer grundsätzlichen Anwendung zügig lernbar. Darum geht es in einem *Master*studium aber nicht, sondern darum, zu verstehen, woher diese Methoden kommen, warum sie Sinn / keinen Sinn machen, ihre wissenschaftliche Fundierung zu verstehen und allgemein ein umfassendes, forscherisch abgesichertes Verständnis der Mensch Computer Interaktion zu bekommen und das wird hier auch durchgezogen. An manchen Stellen ist das Verhältnis Theorie zu Praxis eine Gratwanderung und “Mich” hat insofern nicht ganz unrecht, dass je nach persönlicher Präferenz und Interesse manchmal evtl. zu viel Fokus auf die Theorie gelegt wird. Das liegt aber wie gesagt daran, dass es ein Universitätsstudium und kein reiner Praxiskurs ist.

Trotz allem bleibt auch in Siegen die Anwendung nicht auf der Strecke: Wie “Mich” schreibt, werden die Methoden in Form von eigenständigen Projekten trainiert und angewendet. Natürlich wird man hier an der einen oder anderen Stelle ins kalte Wasser geworfen, aber man darf nicht vergessen, dass alle Masterstudierenden bereits einen berufsqualifizierenden Abschluss haben und daher keine kleinen Lämmchen mehr sein sollten, die man bei jedem Schritt an die Hand nehmen muss. Der Punkt ist, dass man durch die Anwendung und dadurch, tatsächlich im Feld zu arbeiten, ein besseres Verständnis für die tatsächliche Anwendung von Methoden und HCI bekommt als man es durch X Stunden Tutorien je könnte - und an Projekte und Praxis mangelt es hier wahrlich nicht.


Natürlich ist auch in Siegen nicht alles Gold was glänzt. Nicht alle Vorlesungen sind besonders toll, oft merkt man - wie leider so oft an Unis - dass hier Wissenschaftler und nicht Didaktiker am Werk sind. Das ist aber aus meiner Erfahrung hier nicht besser oder schlimmer als an anderen Universitäten. Was tatsächlich fragwürdig, wenn auch von “Mich” nicht erwähnt ist, ist die starke Fixation auf qualitative Methoden. Systeme werden hier fast ausschließlich auf Basis qualitativer Studien direkt in situ, d.h. auf Basis von ethnografischen Studien am Arbeitsplatz (oder wo auch immer das was man gerade entwirft eingesetzt werden soll). Soweit, so gut, das ist an sich ein wertvoller Gedanke. Leider herrscht wie so oft bei Wissenschaftlern ein gewisser Bias gegenüber quantitativer Arbeit, die hier sehr vernachlässigt wird. Ich würde jedem Interessenten also empfehlen, selbständig und / oder im Rahmen der Wahlbereiche (das ist nämlich möglich) etwas über diese Seite der Medaille zu lernen.


Ein fertig konzipierter Master
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… ist es, was “Mich” erwartet. Ich würde dagegenhalten: Wer einem einen solchen Master im Bereich HCI verspricht, der lügt. Jeder, der sich mit HCI auseinandersetzt, wird merken, dass das Feld ziemlich dynamisch ist und sich allein in den jüngeren Jahren diverse Paradigmen, Methoden und Richtungen ausdifferenzieren. Daraus ergibt sich notwendigerweise auch, dass die Ausbildung selbst im Fluss ist. Wer sich auf ein sich entwickelndes und interdisziplinäres Feld wie die HCI einlassen möchte, der muss damit leben können.

Das schöne an der Siegener HCI ist ihre reichliche Offenheit - auf Wunsch und unter Mitarbeit der Studierenden wurden schon mehrfach Aspekte des Studienverlaufes geändert und neue Veranstaltungen ins Programm genommen oder erst konzipiert. Jede/r Studierende hat also die Möglichkeit, entsprechend seine/r Interessen Schwerpunkte zu legen und sein Studium entsprechend zu gestalten. Das ist es, was ein universitäres Studium eigentlich ausmacht - leider scheinen das mehr und mehr Studierende anders zu sehen und schreien lauter und lauter nach verschulten, “fertigen” Stundenplänen statt selbst Gehirnschmalz und Engagement in ihre Studienkarriere zu stecken und das daraus zu machen *was sie wirklich interessiert*. Dabei legt einem hier nämlich - im Gegensatz zu anderen Mastern - niemand einen Stein in den Weg. An dieser Stelle halte ich das “Kontra” “zu viel Selbstrecherche” natürlich ebenfalls für lachhaft. Selbstrecherche, die Bereitschaft, Dinge zu lesen und durchzuarbeiten sowie Eigenständigkeit sind die Kernpunkte akademischer Arbeit - und nicht nur dieser, denn solche Fähigkeiten zeichnen auch gute Praktiker aus. Wer das nicht erkennt, der kann sich noch so sehr über seine Ausbildung beschweren - das Problem liegt nicht an dieser, sondern am Beschwerenden selbst.
Was den Studienverlauf angeht, so merkt man nach einer Weile -wenn man sich denn auf den Stoff einlässt - dass dieser ziemlich konsequent und auch sinnvoll die Ausrichtung der Siegener HCI (nämlich fokussiert auf ethnografisch in der Arbeits- und Lebenspraxis der Nutzer fundiertes Design von interaktiven Systemen) vorbereitet und einführt.

Dozenten
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Die Siegener HCI ist für Deutschland und den Bereich HCI relativ hochkarätig, insbesondere dafür dass Siegen nicht die größte Uni Deutschlands ist. Auch im internationalen Vergleich stehen wir hier recht gut da und unsere Dozenten sind sowohl in Deutschland als auch international ziemlich gut vernetzt. Davon einmal abgesehen ist das Verhältnis Studierende zu Dozenten / wissenschaftliche Mitarbeiter sehr gut - man ist schnell per Du, kennt sich persönlich und fast alles wird in einem schnellen und unbürokratischen Gespräch geklärt und ausgehandelt. Die Hierarchie ist flach, es ist völlig in Ordnung, einem Professor zu widersprechen falls es dafür sachliche Gründe gibt - das hält hier niemand gegen einen. Aus meiner Sicht ist das gegenüber der oft vorherrschenden Hierarchisierung und Bürokratisierung ein unschätzbarer Vorteil.

Ausstattung
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Ich würde auch gerne noch die Ausstattung hervorheben. Es gibt mehrere Labore, z.B. für Usability-Tests, aber auch zum Bau von Prototypen oder zur Projektarbeit. Studierende bekommen problemlos Zugriff auf diese Einrichtungen und auch die Ausstattung (z.B. 3d-Drucker). Auch Tablets, Software, Smartphones, Audiorecorder, Kameras, etc. sind vorhanden und können genutzt werden. Das Problem hier ist, dass es keinen zentralen Pool gibt und alles etwas anarchistisch läuft. Heißt: Niemand trägt einem etwas hinterher und man muss meist mehrere Leute fragen bis man das gewünschte Gerät (oder was auch immer man gerade braucht) findet, aber dann bekommt man es auch. Die Organisation hier ist öfter mal etwas chaotisch, was meiner Erfahrung nach mit den o.g. flachen Hierarchien zusammenhängt. Das kann man gut oder schlecht finden - ich persönlich finde es gut, denn es lässt einem enorme Freiheiten für eigene Projekte oder das Ausleben von / Experimentieren mit Interessen.


Praxistauglichkeit und Konkurrenzfähigkeit
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Ich kann nicht wirklich über die anderen HCI-Master in Deutschland urteilen, das muss jeder für sich selbst beurteilen. Was die Praxistauglichkeit angeht, weiß ich aber von diversen HCI-Siegen-Absolventinnen und Absolventen, die (sehr) gut untergekommen sind und direkt nach dem Master in der Wirtschaft erheblich Geld verdienen. Letztlich überlasse ich das Urteil hierüber auch jedem selbst, ich kann nur sagen, dass ich mir keinerlei Sorgen über meine Markt- und Praxistauglichkeit mache.

“Forschungsmaster”
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Nun… Der Verwendung des Begriffes “Forschungsmaster” durch “Mich” kann man kaum widersprechen. Die Sache ist die: Das sollte man auch gar nicht können, denn Master-Studiengänge an Universitäten sind grundsätzlich Forschungsorientiert. Für reine Praxisausrichtung existieren Fachhochschulen - die Differenzierung ist doch eigentlich klar und sollte jeder Person, die sich für einen Master interessiert, eigentlich geläufig sein. Das heißt natürlich nicht, dass man nur im Elfenbeinturm sitzen sollte, was auch nicht geschieht. Die Projekte aus dem HCI-Master sind immer wieder direkt oder indirekt an Fragestellungen aus der Praxis geknüpft und auch die Forschungsprojekte haben im Normalfall alle Praxispartner.
Spontanes Beispiel: Hier werden Systeme für Feuerwehrleute entwickelt, die deren Gruppenführern ermöglichen, die Atemluft und andere wichtige Daten ihrer Gruppe per Tablet auszulesen und Kommandos etc. zurückzusenden. Das geschieht direkt im Feld in Zusammenarbeit mit der Feuerwehr, vielen Feldterminen bei und in deren Trainingshallen und -geländen sowie in Zusammenarbeit mit den Unternehmen, die die Sensorik und andere Komponenten produzieren. Ähnliche Vorgehensweisen finden sich bei fast allen Projekten - und es ist hervorzuheben, dass alle diese Projekte Hilfskräfte aus der HCI rekrutieren, die dann nicht nur am Kopierer stehen, sondern tatsächlich auch selbst ins Feld gehen, mit Partnerunternehmen arbeiten, ins Ausland oder auf Konferenzen geschickt werden und insgesamt reichlich selbständig arbeiten dürfen.x


“Forschungsschwerpunkt ältere Menschen”
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“Mich”s Aussage, dass die Siegener HCI auf Systeme für ältere Menschen fixiert ist, ist ziemlich absurd. Im Umfeld der HCI laufen Projekte über Krisenmanagement, Usability / UX Methoden für Kleine und Mittelständische Unternehmen, 3d-Druck und andere Maker-Technologien, Spielerisches Lernen von IT-Skills für Kinder, Home Automation, Smart Energy, Koordination von Feuerwehr-Einsatztrupps, IT in integrierten Wohnbau-Projekten, Mobilitätsplattformen, Feedback-Tools zur Einbettung in Websites, Public Displays und ja, natürlich auch über die alternde Gesellschaft und IT als demographisch ziemlich wichtige Angelegenheit. Ich vergesse an dieser Stelle sicher noch Projekte, das sollte aber hoffentlich ausreichen, um einen Einblick in die Vielfalt zu geben. Jedes dieser Projekte beschäftigt im Normalfall auch mindestens eine/einen HCI-Studierende/n als studentische Hilfskraft und Themen aus diesen Projekten werden auch als Seminar- oder Masterarbeiten angeboten, insofern ist mir nicht wirklich begreiflich wie jemand der hier studiert, das nicht wissen kann. Jeder HCI-Interessierte, der nichts mit älteren Menschen anfangen kann (wie ich persönlich ehrlich gesagt auch) sei beruhigt: Hier gibt’s mehr als genug andere Themen…


Siegen
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Es möge sich jeder sein eigenes Bild der Stadt machen. Berlin ist es nicht gerade, aber die Hochkultur der Heulerei über das ach so schreckliche Siegen, die so gerne im Netz zelebriert wird ist, mit Verlaub, Unfug. Es handelt sich hier um ein nettes Städtchen in dem man durchaus auch Weggehen kann, das eine nette WG-Szene hat und das sogar beachtlich viel an alternativer Szene zu bieten hat. Symptomatisch ist natürlich auch das Wörtchen “pendeln” - die Pendler sind doch in jeder Stadt diejenigen, die nicht mitbekommen, was eigentlich vor Ort alles so geht oder nicht geht, das ist auch in Tübingen oder beliebigen anderen Studentenstädten nicht anders. Wer jeden Abend feiern will, der ist hier natürlich nicht richtig, soviel sollte einem der gesunde Menschenverstand aber auch sagen. Kommt her, schaut es euch an, entscheidet selbst, kann ich da nur sagen.
Es sei noch angemerkt, dass Ende 2014 der Umzug unserer Fakultät an den neuen Campus ansteht. Dieser ist direkt in der Innenstadt in einem alten Schloss untergebracht, damit ist die - absolut fürchterliche - bisherige Lage der Uni auf einem Berg außerhalb (talk about Elfenbeinturm…) nun auch endlich ein geschlossenes Kapitel. Mit diesem Umzug wird dann auch die studentische Kultur in der Stadt wohl ein wenig mehr belebt werden.


Schlussworte
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Wie man unschwer erkennen kann, bin ich ein Fan des HCI Masters in Siegen. Selbstverständlich gibt es auch hier Schattenseiten - einige davon wie z.B. die teils mäßigen bzw. uni-typischen Vorlesungen hatte ich bereits erwähnt, eine andere ist die bis vor kurzer Zeit unglaublich schlechte Außendarstellung des Studiums. Mittlerweile ist das besser und jede/r Interessierte sollte mal einen Blick auf die neue Website des Studiengangs (www.hci-siegen.de) werfen, da gibt’s viele nützliche Informationen. Ich würde weiterhin allen Interessierten empfehlen, selbst mal vorbeizuschauen und sich ein Bild vom Studium zu machen. In jeder Veranstaltung sind Leute die Reinschnuppern wollen willkommen - das geschieht auch regelmäßig und ich kann es jedem nur ans Herz legen.


Aktuelle Bewertungen zum Studiengang

4.6
Mario , 20.02.2024 - Human Computer Interaction (M.Sc.)
3.3
Sandra , 20.05.2023 - Human Computer Interaction (M.Sc.)
4.7
Mehrbod , 17.04.2023 - Human Computer Interaction (M.Sc.)
4.7
Frederick , 16.04.2023 - Human Computer Interaction (M.Sc.)
3.1
Ankita , 21.01.2022 - Human Computer Interaction (M.Sc.)
2.9
Julian , 05.08.2021 - Human Computer Interaction (M.Sc.)
4.5
Laura , 26.04.2021 - Human Computer Interaction (M.Sc.)
4.1
RAJASHEKAR REDDY , 12.12.2020 - Human Computer Interaction (M.Sc.)
4.0
Laura , 18.09.2020 - Human Computer Interaction (M.Sc.)
4.2
Amelie , 13.05.2020 - Human Computer Interaction (M.Sc.)

Über Oliver

  • Alter: 27-29
  • Geschlecht: Männlich
  • Abschluss: Ich studiere noch
  • Studienbeginn: 2012
  • Studienform: Vollzeitstudium
  • Standort: Campus Adolf-Reichwein-Straße (AR)
  • Weiterempfehlung: Ja
  • Geschrieben am: 07.06.2014
  • Veröffentlicht am: 07.06.2014