Impostor syndrome lässt grüßen

Physik (B.Sc.)

  • Studieninhalte
    4.0
  • Dozenten
    3.0
  • Lehrveranstaltungen
    4.0
  • Ausstattung
    2.0
  • Organisation
    5.0
  • Literaturzugang
    3.0
  • Digitales Studieren
    4.0
  • Gesamtbewertung
    3.6
Das Bachelorstudium Physik ist anfangs eher ein Überleben als ein Leben, insbesondere wenn man zwei Nebenjobs hat. Der Kontrast zum Schulstoff ist enorm, da erscheint die gymnasiale Oberstufe wie Kindergarten. Die Studieninhalte sind sehr anspruchsvoll, aber auch wirklich interessant und umfangreich. Man lernt allerhand Grundlagen, die wissenschaftliche Methode, lösungsorientiertes Denken, Abstraktion. Der Stoff ist sehr kompakt und sehr dicht, Jahrhunderte an wissenschaftlichen Errungenschaften werden in wenige Wochen gepackt. Über alles bekommt man einen guten Überblick.

Ich hatte das Glück, im ersten Semester sehr gute Dozenten in den Vorlesungen zu erwischen, sonst hätte ich wohl abgebrochen. Besonders heftig empfand ich die 3 Semester Mathe am Anfang des Studiums. Man sitzt völlig übermüdet zwei Stunden lang in der Vorlesung, kommt mit dem Schreiben kaum hinterher, versteht rein gar nichts, und fragt sich im Nachhinein, warum man sich das jetzt angetan hat. Es dauert Monate und braucht intensive Nachbereitung, um den Stoff mancher Vorlesungen zu begreifen.

Und dann sieht man in den Übungen, wie andere Studierende die Übungsaufgaben, bei denen man selbst zuhause nur Quatsch rausbekommen hat, fehlerfrei an die Tafel schreiben. Man hält sich selbst für schlechter als die anderen - das sogenannte impostor syndrome. Erst Jahre später habe ich erkannt, dass die meisten anderen damals die Musterlösungen der Übungsaufgaben aus Büchern abgeschrieben haben anstatt sich selbst daran die Zähne auszubeißen. In den Klausuren kommt das natürlich zutage in Form von sehr niedriger Bestehensquote. Nach den ersten 2 Semestern haben die Hälfte der Leute abgebrochen oder sind zu BWL gewechselt. Am Ende war noch etwa ein Drittel übrig.

Eine besonders große Belastung sind auch die Praktika. Alle zwei Wochen einen Nachmittag in einem der Labore mit Messungen verbringen und dazu ein bis zwei Schulhefte an Auswertung von Hand vollschreiben. Sämtliche Berechnungen muss man anfangs von Hand machen. Oft zigmal die selbe Messung und Rechnung mit anderen Parametern, sodass es nur noch repetitiv ist und der Lerneffekt eher gering ausfällt. Besonders nervig sind die uralten Laboraufbauten, die teils gar nicht funktionieren, teils extra langsam sind. Anstatt ein modernes Spektrometer zu verwenden, muss man zwanzig Minuten zusehen wie der Schrittmotor die Photodiode von links nach rechts fährt. Das ist nur noch unnötig.

Für ein einziges Übungsblatt sollte man 10 Stunden einplanen und es sind 4 Übungsblätter jede Woche. So verbringt man dann im Sommer die
Nachmittage und Abende und Nächte entweder an Übungsblättern oder im Labor, während man draußen die BWLer Volleyball spielen sieht. Ein Studentenleben bzw. Freizeit hat man mit dem Bachelorstudium Physik nicht und mit Nebenjobs leidet auch noch der Schlaf.

Was besonders positiv heraussticht, ist die recht große Auswahl an Nebenfächern in der zweiten Hälfte des Bachelorstudiums. Da sind so extrem spannende Fächer dabei mit hervorragenden Dozenten. Im Master ist diese Auswahl sogar noch größer. Die Teilnehmerzahl sämtlicher Kurse ist recht klein, sodass es nie Platzprobleme gegeben hat und immer direkter Austausch mit den Dozenten möglich war.

Die Bachelorarbeit hat mir sehr viel Spaß gemacht. Da kann man sich frei einen Lehrstuhl mit interessanter Forschung heraussuchen. Es ist auch möglich, neben der Bachelorarbeit bereits erste Nebenfächer des Masterstudiums unterzubekommen und so die gesamte Studiendauer unter Regelstudienzeit zu verkürzen. Bloß mit der Anrechnung war es ein Chaos. Mittlerweile geht das wahrscheinlich besser, weil die MPI Fakultät jetzt ihr eigenes Prüfungsamt hat.

Könnte ich nochmal zurück, hätte ich das Physikstudium nochmal gewählt. Es war zwar anfangs eine Qual bis zur Belastungsgrenze und darüber hinaus, und ist sicherlich nichts für jeden, aber ich habe so viel gelernt in der Zeit. Das Studium hat mich persönlich und beruflich ein großes Stück weitergebracht. Wer wissen will, wie die Natur funktioniert, und wer bereit ist seine persönlichen Grenzen kennenzulernen und darüber hinauszuwachsen, dem kann ich das Bachelorstudium Physik in Bayreuth sehr empfehlen.
  • Sehr umfangreiche Grundausbildung in allen Bereichen der Physik, in wissenschaftlichem/logischem Denken und in Problemlösung
  • Sehr aufwändiges und anspruchsvolles Studium, Praktika mit repetitativen Messungen und alten/defekten Laboraufbauten

Anonym hat 2 Fragen aus unserer Umfrage beantwortet

Verglichen wird die Aussage des Rezensenten mit den Angaben der Kommilitonen des Studiengangs.
  • Wie gut ist die Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln?
    Ich ärgere mich über die schlechte Anbindung der öffentlichen Verkehrsmittel.
  • Wie hoch ist das Lernpensum?
    Das Lernpensum bezeichne ich als sehr hoch.
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Über Anonym

  • Alter: 24-26
  • Geschlecht: Männlich
  • Abschluss: Ja
  • Studiendauer: 6 Semester
  • Studienbeginn: 2015
  • Studienform: Vollzeitstudium
  • Standort: Uni Bayreuth
  • Weiterempfehlung: Ja
  • Geschrieben am: 15.02.2022
  • Veröffentlicht am: 24.02.2022