Alte Theologie in Alter Universität

Zunächst einmal sei vorausgeschickt: In Marburg lebt es sich wunderbar - und wer Theologie studiert wird zwangsläufig an der Alten Universität studieren, ein Gebäude, das nicht umsonst häufig mit "Hogwarts" verglichen wird. Aus den Buntglasfenstern der Bibliothek zu schauen oder im Winter morgens während des Hebräischunterrichts die Sonne über Marburg aufgehen zu sehen, zählt zu meinen schönsten Erinnerungen an die Zeit dort.

Für Theologie kann ich Marburg allerdings nur begrenzt empfehlen. Warum?
1. Obwohl alle Lehrstühle in Marburg doppelt besetzt sind (d.h. es gibt jeweils 2 Professoren für jedes Fach (NT, AT, KG, ST, PT, RG), gibt es relativ wenige Lehrveranstaltungen zumindest im Vergleich zu den großen Universitäten. Gerade im Grundstudium kann das schmerzen: Die Proseminare/Einführungsmodule werden nur 1x im Jahr angeboten. Das heißt, wer z.B. das Hebraicum nicht besteht, muss 1 Jahr warten um das AT-Proseminar zu besuchen. Das Hebräisch in den letzten Jahren häufig auch nur 1x im Jahr (+ Ferienkurs, aber der ist nichts für schwache Gemüter) angeboten wurde, kommt erschwerend hinzu.

2. Damit wären wir schon beim nächsten Punkt: In Marburg studiert man modularisiert, aber hallo! Während andere Universitäten (z.B. Heidelberg) es schaffen, einem dennoch das Gefühl zu geben, dass man wie früher frei nach Interessen studieren kann, schafft es das kleine Lehrangebot und die Zwänge der Modularisierung regelmäßig, dass zu Beginn eines Semesters lange Schlangen vor der Studienberatung entstehen. In meinem Fall hat das zu skurillen Ausflügen in exotische Fachbereiche geführt (habe z.B. ein Kolloquium in Byzantinischer Kunstgeschichte belegt, um meine Module voll zu kriegen).
Dadurch ist der Wahlbereich auch sehr klein (5 Module im Wahlbereich, aber bitte alle nur aus den Wahlpflichtkursen wählen und es müssen 5 verschiedene Themen sein). Die Chancen, dabei einen wirklichen Schwerpunkt zu setzen sind klein.

3. Viele Dozenten sind zwar sehr nett und herzlich, das Klima ist sehr familiär - aber Didaktiker sind das nicht. Ich habe zu viele schlecht angeleitete, schlecht moderierte Seminare und Vorlesungen besucht in denen ich das Gefühl hatte, nur der Dozent profiliert sich. Erst als ich die Uni gewechselt habe, habe ich begriffen, das es auch anders geht - wenn Dozenten ein echtes Interesse am Lernerfolg ihrer Studenten haben.
Dabei sind viele Seminare & Vorlesungen auch zu Spezialthemen und wenig geeignet für Einsteiger in Studium.

4. Marburg hat einige Interessante Schwerpunkte - Kirchbau, Gender + Feminismus und Religionsphilosophie und Geschichte. Alles keine Kernthemen der Theologie in der Marburg glänzt. Ob man das mit dem Ziel Pfarrer/in später brauchen kann, mag jeder selbst beurteilen.

5. Marburg ist stolz darauf, eine der liberalsten Fakultäten in Deutschland zu sein. Das an sich ist keine Kritik, allerdings bedeutet dass, das in Marburg kaum eine vernünftige Diskussionskultur oder Streitkultur herrscht. Es herrscht eine Meinung, der Rest gilt als nicht diskursfähig. An anderen Fakultäten stoße ich weit und breit (egal welche Prägung die Theologen haben!) auf Entsetzen, wenn ich über einige dieser Szenen berichte...
Das ist, meiner Meinung nach, der vielleicht größte Minuspunkt an Marburg. Denn wenn man über Theologie nciht mal mehr diskutieren kann, alles gleich "Feind oder Freund" ist, dann ist es kein Theologiestudium mehr...