Bericht archiviert

Abgesang auf einen Studiengang!

Molecular Life Sciences (B.Sc.)

  • Studieninhalte
    1.0
  • Dozenten
    3.0
  • Lehrveranstaltungen
    4.0
  • Ausstattung
    3.0
  • Organisation
    3.0
  • Gesamtbewertung
    2.8
Titel: Abgesang auf einen Studiengang


Ich schreibe als Absolvent des Bachelorstudiengangs „Molecular Life Science“. Etwaige euphorische Bewertungen von Noch-Studierenden in vermutlich eher frühen Fachsemestern kann ich leider nicht teilen. Ich hätte zum selben Zeitpunkt im Studium wohl selbst darauf geschworen, einen tollen und modernen Studiengang erwischt zu haben. Rückblicken sehe ich das nun etwas anders und muss leider sagen: Ich kann den MLS-Bachelor an der Uni Hamburg absolut nicht empfehlen. Die Dozenten sind wie fast überall mittelprächtig mit einigen schwarzen Löchern und wenigen strahlenden Lichtern am Horizont. Meine Kritik befasst sich also vornehmlich mit den Inhalten des Studiums, nicht mit seinen Charakteren oder Räumlichkeiten.

Meine 3 Hauptkritikpunkte in a nutshell: Die Lehre ist schlecht! Die Studieninhalte sind mager, diffus, mit klaffenden Lücken und sehr schlecht aufeinander abgestimmt. Die Integration der medizinischen Fakultät ist ein Witz auf zwei Beinen.


1 – Zur Lehre allgemein

Das Studium enthält viel zu wenig Biochemie! Insgesamt nur knapp 4 echte Module, nämlich Biochemie I, Biochemie II, Molekulare Medizin und Zellbiologie. Das waren bei mir 39 ECTS in einem 180 ECTS umfassenden Bachelor, also satte 22 %. Inzwischen wohl noch ein kleines Appetizermodul zur Enzymkinetik, das es bei uns damals noch nicht gab und das den Braten auch nicht fett macht. Der Rest des Studiums wird mit Füll- und Blähwerk aufgefüllt. In den frühen Semestern mit naturwissenschaftlichen Basics, die zwar wichtig sind aber deutlich zu viel Raum einnehmen und selten Bezüge zur Biochemie schaffen. Später dann mit Randfächern wie Bioinformatik, Kristallographie (eigentlich eine Domäne der Vollchemiker), Verfahrenstechnik oder auch Medizinethik. Alles gut und schön! Darüber darf man die eigene Hauptdisziplin aber nicht vernachlässigen, was hier leider an allen Ecken und Kanten passiert.

In ambitionierten Studiengängen ist man zumindest teilweise bemüht, den Studenten das Gefühl zu geben, etwas für ihr späteres Berufsleben zu lernen und nicht einfach nur der Bequemlichkeit halber und zum Kostensparen mit Chemikern oder Biologen in deren Veranstaltungen mit rein geklatscht worden zu sein. An der Uni Hamburg wechselt man v.a. in den ersten Semestern zwischen dem Auswendiglernen der Struktur von Baumrinde bei den Biologen und der Messung von Schwarzkörperstrahlung (!) in einem knüppelharten Praktikum begleitend zu einer Physik-Crashkursvorlesung, die inhaltlich nicht mal Abiturniveau erreicht. Dazu schnibbelt man selektiv einige Würmer und Kleintiere auf und lernt, dass Kakerlaken zur Exkretion über Malphigi-Gefäße verfügen, obwohl man im gesamten Studium nicht einmal den Unterschied zwischen Dünndarm und Dickdarm beim Menschen behandelt. Unzusammenhängend, willkürlich gemixt und oft ohne jede Relevanz für die Biochemie. Das ist umso tragischer, da es eben tatsächlich DOCH recht oft Sonderveranstaltungen speziell für die MLS-Studenten sind! Mir unverständlich.

Versteht mich nicht falsch! Naturwissenschaftliche Grundlagen sind wichtig und ich möchte kein Orientierungswissen verdammen. Aber gerade weil die Biochemie selbst so kurz kommt ist es doch schade, dass diese Randthemen, die eigentlich nur begleitendes Fundament zur Hauptdisziplin oder eben transdisziplinärer Blick über den Tellerrand sein sollen, einen dermaßen ausufernden Rahmen einnehmen und sich dabei nicht ein einziges Mal bemühen, auch nur entfernt Bezüge zur Biochemie herzustellen. Stattdessen wird der Biochemiker wirklich wichtiger Grundlagenfächer beraubt, die einfach mal gar nicht behandelt oder in lapidaren 2 - 3 Vorlesungen als oberflächlicher Crashkurs kurz angerissen werden. Beispiele gefällig? Immunologie. Virologie. Onkologie. Reicht noch nicht? Physiologie ist im gesamten Studiengang nicht enthalten und Histologie hat man auch noch nie gehört. Auf Nachfrage heißt es dann bestenfalls: „Kommt irgendwann im Master!“ Wenn überhaupt. Mit derselben Begründung wird einem auch erklärt, warum man derartige Module im Bachelor gar nicht wählen „darf“, selbst wenn man wollte. Und als ich beim Studiengangskoordinator nach Anatomie fragte, sagte der mir allen Ernstes: „Gibt’s nicht, würde ich dir auch nicht anerkennen, sowas brauchst du als Biochemiker nicht!“ Ahja? Aber die Birkenrinde, das Kackorgan der Kakerlake und die Schwarzkörperstrahlung schon?

Wären das nun hochspezialisierte Fortgeschrittenenfächer, könnte ich die Argumentation ja nachvollziehen. Aber ich weiß bei aller Fantasie nicht, was man geraucht haben muss, um Physiologie für einen Biochemiker als unwichtig zu erklären und im selben Atemzug die Studenten im 4. Fachsemester durch ein kryptisches Kristallographiepraktikum zu jagen und sie am DESY mit Kleinwinkelstreuung zu quälen.


2 – Detailkritik an den Studieninhalten:

Wie schon erwähnt ist das Curriculum des Studiengangs ein wild zusammengewürfeltes, selektives Körnerpicken mit akuten Defiziten selbst in zahlreichen Grunddisziplinen der Biochemie selbst. Dies führt zu seltsam isolierten Lernfetzen, die mal hier und mal da relativ detailliert in ein Thema abtauchen, dabei aber kaum Zusammenhänge schaffen, weil man sich zu allen 3 Raumdimensionen in blindem Terrain bewegt. Beispiele:

• Man beschäftigt sich z.B. intensiv mit der Signaltransduktion der Sinne, genauer gesagt mit den molekularen Vorgängen an der Zellmembran. Was diese Organe aber eigentlich sind, wie sie aufgebaut sind, was nach Aktivierungen der spezifischen Rezeptoren weiter passiert? Nächste Frage.

• Auch beschäftigt man sich mit dem Intermediärstoffwechsel (Nahrungsaufnahme, Prozessierung, Ausscheidung), ohne jemals eine Ahnung zu haben, wie Leber, Niere, Milz etc. eigentlich im Detail funktionieren und wofür die im Gesamtorganismus wichtig sind. Dünndarm, Dickdarm, Rektum? Man lernt einmal kurz im Schnibbelkurs, dass die Maus wohl so etwas hat und in welcher Reihenfolge. That’s it.

• Oder aber man lernt Merkmale repräsentativer Zelltypen auswendig, ohne sie jemals im histologischen Verbund als Gewebe durchdrungen zu haben und zu wissen, welche Stellung sie im Gesamtorganismus einnehmen. So fällt etwa gefühlte 300 x im Studium der Begriff „Blut-Hirn-Schranke“. Was das ist, aus welchen Zellen sie besteht, welche Funktion sie hat? Na, „ihr seid ja keine Mediziner …“

Natürlich soll der Fokus in einem Biochemiestudium auf den molekularen Vorgängen liegen – aber in diesem Ausmaß bleibt ein Großteil der Biochemie bruchstückhaft und leblos. Man könnte natürlich sagen, es läge in der Verantwortung eines Studenten, sich fehlenden Stoff selbst anzueignen. Aber mit dieser Keule kann man jede noch so grottige Lehre schön reden und das finde ich etwas zu einfach.



3 – Zur Integration der medizinischen Fakultät:

Der Studiengang wird zu einem Drittel von der medizinischen Fakultät ausgerichtet. Ich versprach mir davon etwas mehr medizinische Bezüge im Studium. Da ein Großteil der Biochemiestudenten in meiner Erfahrung ein besonderes Interesse an Medizin haben und später auch einen Platz in der medizinischen Forschung anvisieren, mag das schon ein Standortfaktor für manch einen angehenden Studenten sein. Leider beschränkt sich die Beteiligung der medizinischen Fakultät darauf, etwa 8 Kapitel des Stryer (= Standardlehrbuch der Biochemie) vorzulesen und ansonsten die Studenten mit den hochspeziellen und in breiter Laborfront völlig unbedeutenden Kuriositäten ihrer gefühlt 6 beteiligten Arbeitskreise zu nerven und dabei für Bachelorarbeiten in ihren Laboren zu „werben“. Medizinische Grundmodule darf man grundsätzlich nicht belegen, da sonst die Einkläger in Medizin Stoff für ihre Kapazitätsklagen bekämen. Zudem werden die Dozenten am UKE nicht müde, zu betonen, dass die Mediziner deutlich mehr Biochemie im Studium lernen würden als wir Biochemiker. Im Studium taten wir das belustigt als Blödsinn ab. Heute weiß ich, dass das zumindest was diesen Biochemiestudiengang betrifft leider der Wahrheit entspricht.


Fazit:

Das Biochemiestudium in Hamburg ist ein uninspiriert zusammengepampter Hybrid, dessen inhaltliche Defizite klaffende Löcher selbst in die Grundlagen der eigenen Hauptdisziplin reißen. Die Biochemie kommt zu kurz und die Grundlagenmodule interessieren sich genau null dafür, dass man weder Chemiker im Synthetiklabor noch Biologe im Vogelschutzgebiet werden soll. Über den erbärmlich mageren Standardkatalog an Wahlmodulen hinausgehende fachliche Interessen werden gnadenlos abgeschmettert mit Begründungen der Marke „das brauchst du als Biochemiker nicht!“ oder „das machst du erst im Master“, obwohl es sich im Falle von Fächern wie Immunologie, Virologie, Physiologie, Histologie oder Anatomie um absolute Basics handelt, die komplett totgeschwiegen werden. Zuletzt ist man an zumindest einer der 3 den Studiengang ausrichtenden Fakultäten – nämlich der Medizinischen, die für das Gros der Studenten wohl am interessantesten sein dürfte – unerwünscht. Es sei denn natürlich, man bietet sich als unbezahlter Laborsklave für Projektstudien in rauen Massen und Abschlussarbeiten an. Ich rate von MLS-Studiengang an der Universität Hamburg nachdrücklich ab!
  • Dozenten insgesamt in Ordnung, Studium mit etwas Fleiß gut machbar, kleiner Jahrgang (mit 43 gestartet, 25 haben den Abschluss gemacht)
  • schlechte Lehre mit argen inhaltlichen Lücken, wichtige Grundlagenfächer fehlen komplett, Integration der medizinischen Fakultät mangelhaft

Aktuelle Bewertungen zum Studiengang

3.9
Marie , 12.11.2023 - Molecular Life Sciences (B.Sc.)
4.0
Jonathan , 24.10.2023 - Molecular Life Sciences (B.Sc.)
4.1
Vivien , 08.08.2023 - Molecular Life Sciences (B.Sc.)
4.3
Emma , 22.07.2023 - Molecular Life Sciences (B.Sc.)
4.1
Svenja , 26.05.2023 - Molecular Life Sciences (B.Sc.)
4.6
Greta , 01.02.2023 - Molecular Life Sciences (B.Sc.)
4.4
Sophie , 01.11.2022 - Molecular Life Sciences (B.Sc.)
3.9
Lucia , 04.10.2022 - Molecular Life Sciences (B.Sc.)
3.3
Ems , 20.08.2022 - Molecular Life Sciences (B.Sc.)
3.9
Hanna , 08.07.2022 - Molecular Life Sciences (B.Sc.)

Über Justin

  • Alter: 18-20
  • Geschlecht: Männlich
  • Abschluss: Ja
  • Studienform: Vollzeitstudium
  • Standort: Standort Hamburg
  • Weiterempfehlung: Nein
  • Geschrieben am: 10.02.2015
  • Veröffentlicht am: 10.02.2015