Bericht archiviert

Ein toller Studiengang mit Kinderkrankheiten!

Medizin (Staatsexamen)

  • Studieninhalte
    5.0
  • Dozenten
    4.0
  • Lehrveranstaltungen
    5.0
  • Ausstattung
    5.0
  • Organisation
    2.0
  • Gesamtbewertung
    4.2
Ich schreibe als Student im 4. Fachsemester. Wir sind der zweite Jahrgang des neuen Modellstudiengangs „iMED“, der den Regelstudiengang 2012 abgelöst hat.


1 – Kurz und knapp

Der iMED in Hamburg ist ein im Kern gut durchdachter Hybrid aus klassischer Vorklinik und einem klinischen Semester, ohne es mit dem „New-Age“-Quatsch der Marke POL und dem allseits an deutschen Hochschulen grassierenden Soft-Skills-Wahn zu übertreiben. Wir haben quasi ein Kliniksemester in die Vorklinik integriert, entsprechend gibt es die Physikumsäquivalenz nach 5 Semestern. Die mündliche Ersatzprüfung wird allerdings regulär schon nach 3. Semestern abgelegt, was zu einem teils ziemlich heftigen Komprimieren der „großen“ Fächer Anatomie und Biochemie geführt hat. Das Studium ist extrem abwechslungsreich und macht Spaß, die Dozenten sind sehr bemüht um eine gute Lehre, der UKE-Campus ist kompakt und modern mit einer guten Anbindung an die öffentlichen Verkehrsmittel. Zu kritisieren sind die nach wie vor vorhandenen Kinderkrankheiten des Studiengangs, die teils etwas planlos anmutenden Fächerkombinationen einzelner Module sowie die bisweilen arg mangelhafte Kommunikation zwischen Dekanat und Studierendenschaft. Auch wissen viele Dozenten nicht gut über die Lernziele und die Umfänge der einzelnen Module Bescheid, so dass schon öfters Themen ausführlich geprüft wurden, die vom Professor zuvor ausdrücklich als unwichtig erklärt worden waren. Man ist und bleibt hier Versuchskaninchen! Dafür bekommt man aber einen modernen, durchweg bemühten und unterm Strich wirklich tollen Studiengang, der die alte und starre Vorklinik sinnvoll aufbricht und seinen Studenten von Anfang an das Gefühl vermittelt, Arzt zu werden. Ich kann den Studiengang daher besten Gewissens weiterempfehlen!


2 – Aufbau des Studiums und Prüfungslast

Das Studium ist gegliedert in die immer wiederkehrende Struktur: 6 Wochen Modul, 2 Wochen Wahlbereich, 6 Wochen Modul. Wir haben also keine Semester im herkömmlichen Sinne, sondern eher „Tetramester“, wenn man sie so nennen will. Jedes Modul muss mit einer Gesamtprüfungsleistung von 60 aus 100 Punkten bestanden werden, die sich aus allen Prüfungsleistungen des Moduls aufsummieren. Das können z.B. 20 Punkte mündliches Anatomietestat, 10 Punkte mündliches Biochemietestat und 70 Punkte Klausur sein. Viele Praktika besitzen Eingangstestate, die ebenfalls ein paar Punkte fürs Gesamtmodul bringen. Der große Vorteil ist, dass nur die Gesamtpunktzahl für die Modulnote und das Bestehen zählt. Das heißt, wenn man hier im Beispiel beide Anatomietestate mit 0 Punkten an die Wand fährt, dafür in Biochemie und Klausur aber voll punktet, geht man immer noch mit 80 von 100 Punkten mit der Endnote 2.0 aus der Sache. Es gibt also kein „Durchfallen“ durch kleine Einzelleistungen mehr und vor allem das ewige Bangen vor und Wiederholen von Anatomietestaten ist Geschichte.

Der große Nachteil dieser Kombinationsprüfungen ist, dass viele kleine Fächer vernachlässigt werden. Wenn von der MC-Klausur etwa 50 Punkte auf Physiologie entfallen und nur 3 auf Psychologie, ist es ganz logisch, dass sich niemand das 100-seitige Psycho-PDF zu Gemüte führt. Da es aber jedes Modul mehrere Fächer gibt, die in diese „Lernlücken“ fallen, muss man tierisch aufpassen, am Ende nicht gewaltige Defizite in den Nischenfächern zu entwickeln. Bisher betraf das vor allem Pharmazie, die in fast jedem Modul ein paar isolierte Einzelveranstaltungen lehrt.

Ein weiterer wichtiger Kritikpunkt meinerseits ist, dass die Modulnoten die Äquivalenz des schriftlichen Physikums sein sollen, sich je nach Modul aber teilweise bis zu etwa 70 % aus mündlichen Prüfungsleistungen zusammensetzen. Das geht in meinen Augen irgendwie am Sinn vorbei. Manche Module schießen zudem sehr deutlich übers Ziel hinaus! Besonders der Prüfungsmarathon im 3. Semester, der zur mündlichen Physikumsersatzprüfung führt, schlägt selbst den besten Studenten mächtig ins Mark: So darf man im Modul E1 6 fette Prüfungen in 3 Fächern an 5 Tagen nacheinander absolvieren; teils, weil es ja so lustig ist, auch einfach nochmal eben über Themen längst vergangener Module! Gleich im Anschluss folgt dann im Modul F1 nach 2 Wochen schon das komplette Kopftestat in der Anatomie. Im Anschluss hat man satte 4 Wochen Zeit – statt wie früher im Regelstudiengang ein ganzes Semester! –, sich parallel zu Psychologie und Neurophysiologie die vollständige Neuroanatomie ins Hirn zu prügeln. Danach heißt es wieder: Prüfung! Anderthalb Wochen DANACH steht dann schon die praktische Physikumsersatzprüfung (klinischer Teil) auf der Matte und je nach Losglück bisweilen wiederum nur eine Woche darauf die mündliche Physikumsersatzprüfung über sämtliche Themen des gesamten bisherigen Studiums in 2 der 4 großen Fächern. Das ist in dieser Konstellation und Abfolge einfach eine unmenschliche Belastung über viele Monate hinweg und macht krank! Von chronischen Bauchschmerzen über Kopfschmerzen über seit Monaten verschleppte Erkältungen klagten in dieser Phase so ziemlich alle meine Mitstudenten über arge gesundheitliche Probleme bis hin zu depressiven Schüben. Ist die Show erstmal gelaufen, kann man dann doppelt stolz auf das Geleistete sein. Noch einmal möchte aber niemand von uns durch diese Hölle gehen.


3 – Organisatorische Pannen und Stundenplanflexibilität

Den iMED gibt es jetzt gerade im dritten Jahr und entsprechend wackelig ist das ganze Konstrukt. Inhalte werden munter vor sich hin geändert, Veranstaltungen kommen und gehen, Prüfungsformen ändern sich jährlich. Mal sind es für ein Modul 2 Klausuren, im nächsten Jahr dann nur eine, dann doch wieder 2. Und wer in der Prüfungsrunde „seines“ Jahrgangs nicht durch eine Prüfung durchkommt oder schiebt, muss sie im nächsten Jahr schreiben – nach neuen Vorgaben mit schlimmstenfalls veränderten Inhalten und Lernzielen! Die Prüfungsordnung wird quasi jährlich geändert und gilt ab Freigabe für sämtliche iMED-Jahrgänge, auch die alten! Wer es also aus anderen Studiengängen gewohnt ist, nach der Ordnung sein Studium zu beenden, nach der er angefangen hat – Pustekuchen! Zudem empfinde ich die Kommunikation zwischen Dekanat und Studierendenschaft leider als teils katastrophal. Da wird mitten im Semester (!) die laufende Fehlzeitenregelung und damit die Zulassungsregelung zu den Prüfungen zu Ungunsten der Studenten über den Haufen geschmissen und eine erklärende Rundmail kommt erst Wochen später. Ähnliches gilt für die Anwesenheitsberechnung. Der Student loggt sich in die Campusverwaltung ein, sieht irgendwelche Neuerungen und darf sich seinen Teil dazu denken. Das ist blöd!

Auf der anderen Seite werden jede Veranstaltung und jeder Dozent nach jedem Modul ausführlich von den Studenten evaluiert und auf Kritikpunkte wird sehr oft und schnell eingegangen. Man fühlt sich als Student insgesamt schon sehr ernst genommen und eigentlich wirken alle Dozenten und insbesondere auch das Dekanat wirklich interessiert und bemüht, ein gutes und interessantes Studium anzubieten. Man hat ständig das Gefühl, dass die Leute wirklich dir als Student eine tolle und aufschlussreiche Zeit bieten wollen. Ganz toll!

Besonders gut ist, dass man die meisten Veranstaltungen direkt online mit seinen Mitstudenten tauschen kann. Es gibt etwa 20 Kohorten à etwa 20 Studenten, jede mit eigenem Stundenplan. Hat man eine Veranstaltung in seinem Stundenplan, die zeitlich absolut nicht passt, kann man sich fast immer direkt übers Online-Formular in eine andere Veranstaltung verschieben, solange diese noch nicht an Teilnehmern ausgelastet ist. Das heißt, man kann im Endeffekt nahezu immer krank werden oder fehlen und sammelt trotzdem keine Fehlzeiten. Du merkst am Montag, dass es dir richtig elend geht? Kein Problem. Schiebst halt einfach deine zwei Pflichtveranstaltungen vom Dienstag auf die Woche drauf und hast den Dienstag frei. Es gibt einige Veranstaltungen, wo das nicht geht – der Präparierkurs zum Beispiel. Aber die meisten anderen Sachen kann man im Bedarfsfall sehr flexibel hin und her schieben.


4 – Zum Inhaltlichen

Inhaltlich ist der Spagat aus Klinik und Praxis gut gelungen. Man kriegt an allen Ecken und Kanten klinische Appetizer, die immer anregen, kaum überfordern und einem von vornherein das Gefühl geben, hier zum Arzt ausgebildet zu werden – anders als vermutlich noch in der alten Vorklinik. Aber es sind eben auch nur Appetizer. Echte Klinik oder gar Patientenkontakt gibt es eigentlich nicht – außer in Form von Fallvorstellungen in Vorlesungen und dem Blockpraktikum Allgemeinmedizin nach dem 2. Semester.

Alle Veranstaltungen finden am Uniklinikum statt. Zum Hauptcampus muss man nicht mehr. Für die Lehre haben wir einen schönen, gut ausgestatteten Neubau mit einem große Hörsaal und gefühlten tausend Seminarräumen. Ein anderer Rezensent hier meinte, es sei schade, dass wir keine Veranstaltungen am Hauptcampus haben. Ohne jemandem zu Nahe treten zu wollen denke ich, das ist doch eine ziemliche Inselmeinung. Eigentlich ist fast jeder hier heilfroh, nicht mehr ständig von Veranstaltung zu Veranstaltung zwischen UKE und Unicampus hin und her pendeln zu müssen, wie es früher im Regelstudiengang der Fall war. Auch übernimmt das UKE nun die komplette Lehre, die dadurch deutlich besser auf die Medizin zugeschnitten ist. Man verbringt nicht mehr Stunden über Stunden bei den Physikern, Chemikern und Biologen überall in Hamburg verstreut, die einen durch für den werdenden Arzt völlig unnötige Inhalte und Versuche quälen, nur um zu zeigen, was in „ihrem“ Fach so alles drin steckt. Insgesamt wurden die naturwissenschaftlichen Inhalte im Vergleich zu Regelstudiengängen stark abgespeckt. Reine Physik, Chemie und Biologie werden nur noch wenig gelehrt. Das mag manch einer schade finden, mir gefällt es sehr gut. Auch ohne diese Fächer quillt der Stundenplan mehr als über und wer dort wirkliche Lücken hat, kann die zahlreichen freiwilligen Crashkurse besuchen, die in den ersten 3 Semestern angeboten werden.

Die Mensa ist ziemlich annehmbar. Da werden mir andere Studenten widersprechen, aber das Essen ist gut, abwechslungsreich und schmeckt auch fast immer echt lecker. Wer etwas anderes behauptet, mault auf verdammt hohem Niveau. Und wer Restaurantqualität erwartet, der zahlt normalerweise auch mehr als 3,50 für einen prallgefüllten Teller + Suppe. Die ärztliche Zentralbibliothek ist hervorragend bestückt und ausreichend groß, auch wenn in Klausurzeiten bei weitem nicht genug Bücher für alle da sind. Das wäre bei einer Jahrgangsgröße von fast 400 Leuten aber auch ein Ding der Unmöglichkeit.


Fazit

Der iMED in Hamburg ist ein gut konzipierter, gleichzeitig aber ständig im Wandel begriffener Modellstudiengang ohne Extrema ins Negative, aber leider mit einer bisweilen katastrophalen Kommunikationsstruktur zwischen Dekanat und Studierendenschaft. Insgesamt ist die Lehre gut bis sehr gut. Es gibt Kinken und Kinderkrankheiten, wie es wohl auch jeder von einem so neuen Studiengang erwartet. Insgesamt bin ich sehr zufrieden, aber auch nicht restlos begeistert. Würde ich Hamburg wieder wählen? Auf jeden Fall.
  • tolles Studium, moderner Campus, gute Ausstattung, gute Lehre, interessante Inhalte, ständige Verbesserung des Studiums
  • extrem auslaugende Prüfungsphasen, sclechte Kommunikation zwischen Lehre und Studenten, ständige Änderungen in der Prüfungsordnung

Aktuelle Bewertungen zum Studiengang

4.7
Marie , 09.04.2024 - Medizin (Staatsexamen)
3.7
Wiebke , 09.04.2024 - Medizin (Staatsexamen)
4.6
Victoria , 04.04.2024 - Medizin (Staatsexamen)
5.0
Ibrahim , 18.03.2024 - Medizin (Staatsexamen)
4.4
Henning , 07.03.2024 - Medizin (Staatsexamen)
4.6
Mateo , 02.03.2024 - Medizin (Staatsexamen)
4.7
Julia , 23.02.2024 - Medizin (Staatsexamen)
4.3
Rama , 22.02.2024 - Medizin (Staatsexamen)
3.7
Hanna , 21.02.2024 - Medizin (Staatsexamen)
3.7
Simon , 20.02.2024 - Medizin (Staatsexamen)

Über Hannes

  • Alter: 18-20
  • Geschlecht: Männlich
  • Abschluss: Ich studiere noch
  • Studienbeginn: 2013
  • Studienform: Vollzeitstudium
  • Standort: Standort Hamburg
  • Weiterempfehlung: Ja
  • Geschrieben am: 20.03.2015
  • Veröffentlicht am: 20.03.2015