Erfahrungsbericht
In Kooperation mit: FU Berlin
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Bericht archiviert

Viel in die Praxis reinschnuppern - wenig Struktur

Medizin (Modellstudiengang) (Staatsexamen)

  • Studieninhalte
    3.0
  • Dozenten
    3.0
  • Lehrveranstaltungen
    2.0
  • Ausstattung
    2.0
  • Organisation
    1.0
  • Literaturzugang
    4.0
  • Gesamtbewertung
    2.5
Ich studiere mittlerweile im 7. Semester an der Charité. Ich habe vorher eine Berufsausbildung im medizinischen Bereich gemacht. Da ich aus Berlin komme, habe ich nach Wartesemestern natürlich einen Studienplatz in meiner Heimat haben wollen, ich hab also nicht wirklich darüber nachgedacht wo anders zu studieren. Ich werde versuchen hier mal meine Erfahrungen aus den ersten Semestern wieder zu spiegeln, welche natürlich sehr subjektiv sind.

Der Modellstudiengang 2.0 an der Charité sieht als Unterrichtskonzept vor, die Studierenden anhand von Organsystemen durch das Studium zu begleiten und somit Grundlagenfächer (Anatomie, Physiologie, Biochemie, etc.) mit klinischen Fächern zu verbinden. Zusätzlich sollen Kommunikation, Interaktion, ärztliche Basisfähigkeiten und Untersuchungsmethoden vermittelt werden. Diese Theorie ist natürlich schön, funktioniert in der Praxis leider teilweise relativ schlecht.

Viele Lehrmethoden dieser Art benötigen einen gewissen Umfang an Personal, welches wiederum Geld kostet. Als Fakultät mit fast 400 Studierenden pro Semester eine große Herausforderung die da zu bewältigen ist. Da die Stadt Berlin de facto kein Geld hat und die nun Charité folglich auch nicht, darf man sich dann als Student hier über vieles eigentlich nicht mehr wundern.

Im Reform- und Modelstudiengang 1.1 war es das Grundkonzept, dass sich die Studierenden in kleinen Gruppen per „Problemorientierten Lernen“ (POL) anhand von beschriebenen Fragestellungen an unbekannten Patienten durchs gesamte Studium bewegen und sich, mehr oder weniger, die Gesamtzusammenhänge selber erarbeiten. Vorlesungen wurden vermehrt als Seminare abgehalten (kleinere Gruppen, mehr möglichen für Fragen und Interaktion mit den Dozenten) und die gesamte Ausbildung der Studierenden sollte so gut wie möglich individuell erfolgen.
Da irgendwann gemerkt wurde, dass dies nicht machbar ist (kein Geld da), wurde zwar das grundsätzliche Konzept beibehalten, jedoch wurden gleichzeitig diverse Fortschritte wieder Rückgängig gemacht. Problemorientiertes Lernern nur noch bis zum 5. Semester, Seminare wurden wieder zu Vorlesungen, Vorlesungen wurden zu E-Vorlesungen (online).

Der Modelstudiengang 2.0 sieht momentan so aus:

Am Anfang musst du, wie überall woanders auch, natürlich vermehrt in Grundlagenfächern unterrichtet werden. Dies passiert in Vorlesungen, Seminaren und den dazugehörigen Praktika. Es geht auch gar nicht anders, die Basics müssen ja erstmal kapiert sein. Soweit passiert das ja auch im Regelstudiengang. Was an der Charité jedoch dazu kommt, sind nun noch die zusätzlichen (!) Lehrinhalte und Unterrichtsformate:

- POL (siehe oben): ein Patientenfall welcher in irgendeiner Form mit dem passenden Thema der Woche zu tun hat und dann von euch in einer Kleingruppe diskutiert wird, ohne wirklich richtige Lernziele, welche ihr euch selber setzen könnt
- KIT „Kommunikation Interaktion Teamfähigkeit“: du übst hier mit Problemsituationen in der Arzt-Patient / Arzt – Arzt Kommunikation umzugehen, oft mit Simulationspatienten
- Vorlesungen mit Patientenvorstellung: Klinische Vorlesung mit einer Erkrankung, die in irgendeiner Form etwas mit dieser Woche/diesem Monat zu tun hat (oder auch nicht)
- Untersuchungskurs / U-Kurs / Unterricht am Krankenbett: Ärztliche Untersuchungsmethoden im Krankenhaus am Patienten

Hört sich ja erstmal eigentlich ziemlich geil an… Ist es aber (teilweise) nicht! Warum?

Viele dieser zusätzlichen Unterrichtsformate haben nur teilweise und im worst case wenig damit zu tun, was du am Ende eines Semesters können musst und dann geprüft wird. Gerade am Anfang eines Medizinstudiums ist es sowieso schon schwer mit der Quantität an Stoff, der so alles gelernt werden muss, überhaupt umzugehen. Zusätzlich wird nun zusätzlich von dir erwartet zu unterscheiden, was denn nun Prüfungsrelevant ist und was nebenbei mal so mitgenommen werden kann. Dadurch, dass die vielen Formate natürlich alle ihren Platz im Lehrplan haben, werden die „klassischen Formate“ wie Vorlesungen und Seminare gekürzt. Gekürzt? Lernen wir also weniger klassische vorklinische Medizin im Modelstudiengang? – Natürlich nicht! Dann sitzt man eben im Seminar und der Dozent hält dir in 90 Minuten ne 100-Seiten lange Präsentation. Zeit für Nachfragen – natürlich keine.
Der Stoffinhalt des Regelstudiengangs soll also vermittelt werden, alles an zusätzlicher Bespaßung wie U-Kurs, etc. kommt noch oben drauf. Dadurch, dass ja Vorklinik und Klink vermischt werden, kommen dann zusätzlich nach dem ersten Semester in der Klausur so schöne klinische Fragen über exotische Krankheiten wie die Polyzystische Nephropathie dran oder die Therapie der Pneumonie.
Das Ganze läuft natürlich munter so weiter, im dritten und vierten Semester kommt dann noch Anatomie dazu, was die meisten dann komplett überfordert. Hier gibt’s dann spätestens die ersten Zusammenbrüche und Heulkrämpfe.

Ja klar, man kommt ja immer irgendwie durch und selbstverständlich ist das alles zu schaffen. Habe ich tolle U-Kurse gehabt, viel Kommunikation und Teamfähigkeit in Rollenspielen mit Simulationspatienten trainiert und jede Woche in POL drei Stunden lang wie die drei ??? tolle Rätsel gelöst: Ja! Hat es mir Spaß gemacht: Ja! (Ehrlich gesagt eigentlich nicht, weil mir von Anfang an klar war, dass es Zeitverschwendung ist und das hat mich mega angekotzt, aber vielen hat es Spaß gemacht). Aber bin ich fit in der Vorklinik nach 4-5 Semestern: Nein! Habe ich das Gefühl dass ich auf dem ähnlichen Wissensniveau diesbezüglich bin wie Kommilitonen vergleichbarer Unis: Nein! Hat es mir was gebracht in den ersten Ausbildungsjahren schon Klinisches Wissen / Facharztwissen zu lernen: Nein!
Es gibt bei uns Institute (ich nenne keine Namen), die mittlerweile absichtlich schlechte Lehre geben, weil Sie so dermaßen angepisst davon sind, dass ihre Unterrichtszeiten für diesen ganzen zusätzlichen Quatsch, den wir so nebenbei machen müssen, gekürzt wurden.
Zu dieser ganzen beschriebenen Situation kommt hinzu, dass in der praktischen Umsetzung es leider alles nicht so schön aufeinander aufgebaut ist, wie es im Curriculum steht. Man hat manchmal das Gefühl, dass in dem ganzen Chaos kein roter Faden zu finden ist. Gerade leider in den ersten Semestern, wo ein roter Faden und Struktur meiner Meinung nach besonders wichtig sind, weil hier eine Orientierung des Studierenden im Wissen stattfinden sollte…

Wir haben nach dem 4. Semester so etwas wie in Ersatz-Physikum, bei welchem, wie im Regelstudiengang auch Biochemie, Anatomie, etc. mündlich geprüft wird. Auch die Prüfungsinhalte sind mehr oder weniger identisch. Ich habe mich dafür 3 Monate lang mit den Endspurt-Skripten vorbereitet. Das Resultat war, dass ich in 3 Monaten mehr Wissenszuwachs hatte, als in den ganzen 2 Jahren Uni davor. Ich finde dies schon relativ traurig, zumal ich ein relativ fleißiger Student bin, der nicht nur strukturiert lernt, sondern auch tiefgründig.

Zusätzlich und erschwerend kommt zu dem allen noch hinzu, dass die Prüfungssituation an der Charité ein Witz ist. Nach jedem Semester wird eine schriftliche MC-Klausur geschrieben, welche bestanden werden muss. Es kommen im Verlaufe des Studiums auch noch diverse mündlich-praktische Prüfungsformate hinzu, die auch gar nicht mal so ohne sind, jedoch möchte ich hier gesondert auf die MC-Prüfungen eingehen. Das große Problem ist, dass in der Entwicklung vom Regel- zum Reform- zum Modellstudiengang bis zum Modellstudiengang 2.0 ein riesiger Pool an Prüfungsfragen für das jeweilige Semester entstanden ist. Blöd nur, wenn sich wie beschrieben die Unterrichtsinhalte und Themen ändern. Der Hauptkritikpunkt von vielen der Studierenden ist die mangelnde Deckung der Fragen mit den gelehrten Inhalten, sowie dass die Klausuren entsprechend selten einen wirklichen Leistungsstand wiederspiegeln. Und dabei geht es nicht ums bestehen, sondern darum, dass du in einer deiner wichtigsten schriftlichen Klausuren vor dem Staatsexamen sitzt (5. Semester -> Klausur über alles was bis dahin gelehrt wurde) und dir Fragen vorgelegt werden, bei denen die „richtige Antwort“ aus Versehen markiert ist, Bildbeilagen ohne Pfeile versehen sind, Fragen doppelt sind oder keinen Sinn ergeben oder schlichtweg aus einem anderen Semester. Das klingt erstmal alles ziemlich witzig, nur halt nicht für dich, besonders wenn es dein letzter von drei Versuchen ist, du grad vor der Möglichkeit stehst, dass deine Karriere hier beendet wird und du dann mitbekommst, wie wenig Gedanken sich gemacht werden dir wenigsten einmal eine vernünftige Klausur vorzulegen.
Da kommt es dann schon mal vor, dass über 10% von Fragen in so einer Klausur entsprechend per Einspruch wieder rausgestrichen werden.
Ich möchte hier nicht meine Uni extrem negativ darstellen, denke aber an diesem Beispiel der Prüfungen stellt gut ein wichtiges Entscheidungskriterium dar:

Möchtest du ein gut strukturiertes und organsiertes Studium haben: Dann wäre die Charité eher nichts für dich! Bist du flexibel, hast Bock viel zu lernen, kannst dich und dein Lernen gut organisieren und hast keine Angst vor Überforderungen unterschiedlichster Art: Willkommen an der Charité.

Ein positives Beispiel sind die mündlich-praktischen Prüfungen in der Vorklinik. Hier hat man zwar die selben Inhalte wie im Regelstudiengang, jedoch gibt es immer zusätzliche Stationen, in denen Wissen und Fähigkeiten aus den Untersuchungskursen und KIT-Seminaren geprüft werden. Damit kann man dann eventuelle Wissenslücken im theoretischen Bereich ausgleichen. Dies ist für viele schon ein Vorteil gegenüber dem „reinen“ Physikum des Regelstudiengangs. Aber auch hier wieder: Kommt eben alles zusätzlich oben drauf, was alles so gelernt werden muss. Für manche ist dies auch eine Überforderung.

So ab Semester 6/7 hat man dann den Vorteil, dass man eigentlich in der jeder Fachrichtung erstmal einen Patienten grundsätzlich untersuchen kann und auch eine vernünftige Anamnese hinbekommt. Der U-Kurs heißt jetzt „Unterricht“ am Krankenbett und nun wird einem wirklich fachspezifisch nochmal wichtige differentialdiagnostische Methodik beigebracht. Zumindest in der Theorie, wie alles sehr Dozentenabhängig.

Auch gibt es jetzt kein POL mehr, die Praktika im Labor werden deutlich weniger und man verbringt deutlich weniger Zeit in der Uni als in der „Vorklinik“. Meine Einschätzung ist, dass sich vieles jetzt mit dem Regelstudiengang deckt und ich persönlich bin ab diesem Punkt bisher sehr zufrieden mit Aufbau/Struktur und Organisation des Studiums.

Der Campus der Charité besteht aus drei Standorten an welchen die hauptsächliche Lehre stattfindet. Die sind alle so circa. 45 Minuten voneinander entfernt. Wenn du den Jackpot gezogen hast, pendelst du mehrmals am Tag zwischen diesen Standorten hin und her. Dies kostet, gerade in den ersten Semestern, unglaublich viel Zeit! Es gibt schon seit Jahren die Forderung der Studierenden den Unterrichtsplan so zu gestalten, dass man pro Tag nur an einem Standort Unterricht hat. Aber Berlin/Charité-Style halt: Wenn interessiert es schon?!
Gnade dir übrigens Gott, solltest du jemals zur individuellen Stundenplanung müssen um Unterricht nachzuholen oder etwas am Stunden versuchen ändern. Selbst in den Berliner Bürgerämtern gibt es mehr Service und Freundlichkeit.

Ein weiterer Punkt den du bedenken solltest: in Berlin gibt es keine Wohnungen. Und wenn ich schreibe keine, dann meine ich, dass manche Leute die ersten Wochen in nem Hotel wohnen müssen, weil sie nicht mal nen WG-Platz finden. Solltest du deine Zusage an der Charité bekommen, kümmere dich so schnell wie möglich um eine WG / Platz im Wohnheim/ Wohnung und am besten alles gleichzeitig und viel!

Es ist schwierig ein Fazit zu ziehen. Man muss sich die Frage stellen ob man sich gut organisieren kann und irgendwann einfach auf das, was einem so geboten wird, scheißt und sich dann auf eigene Faust durch dieses Studium kämpft. Wer Struktur vorgegeben bekommen will, ist hier definitiv falsch. Wer aber, wie oben schon beschrieben, sehr flexibel ist und dem die von mir beschriebenen Negativpunkte egal sind, der kann hier viel Spaß haben.

Durchkommen tut man aber hier, mit ein bisschen Aufwand manchmal, auf jeden Fall.
  • Siehe Text
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Aktuelle Bewertungen zum Studiengang

3.9
Leon , 24.03.2024 - Medizin (Modellstudiengang) (Staatsexamen)
4.4
Clemens , 20.03.2024 - Medizin (Modellstudiengang) (Staatsexamen)
4.7
Lina , 19.03.2024 - Medizin (Modellstudiengang) (Staatsexamen)
4.1
Yann , 13.03.2024 - Medizin (Modellstudiengang) (Staatsexamen)
4.1
Felix , 12.03.2024 - Medizin (Modellstudiengang) (Staatsexamen)
3.1
Orhun , 11.03.2024 - Medizin (Modellstudiengang) (Staatsexamen)
3.7
Selinay , 11.03.2024 - Medizin (Modellstudiengang) (Staatsexamen)
5.0
Sabrina , 10.03.2024 - Medizin (Modellstudiengang) (Staatsexamen)
3.9
Jonas , 07.03.2024 - Medizin (Modellstudiengang) (Staatsexamen)
4.0
Fee , 04.03.2024 - Medizin (Modellstudiengang) (Staatsexamen)

Über Hansi

  • Alter: 30-32
  • Geschlecht: Männlich
  • Abschluss: Ich studiere noch
  • Aktuelles Fachsemester: 7
  • Studienbeginn: 2016
  • Studienform: Vollzeitstudium
  • Standort: Standort Berlin
  • Schulabschluss: Abitur
  • Abischnitt: 2,4
  • Weiterempfehlung: Nein
  • Geschrieben am: 23.05.2019
  • Veröffentlicht am: 03.06.2019